Unter Pilgern hält sich hartnäckig das Gerücht, dass der Jakobsweg der Milchstraße folgt. Sie sozusagen auf Erden wieder spiegelt. Ein Sternenweg ist. Woher kommt diese Geschichte und ist da wirklich etwas dran? Diese Fragen versucht der folgende Artikel zu beantworten.
Um die Hintergründe zu verstehen, müssen wir zuerst weit zurück in die Geschichte des Jakobsweges schauen, genauer gesagt zur (Wieder-) Entdeckung des Grabes des Heilgen Jakobus durch den Einsiedler Pelagius.
Die (Wieder-) Entdeckung des Jakobusgrabes
Anfang des 9ten Jhr. lebte in Libredón, der Gegend in der heute Santiago de Compostela liegt, ein Einsiedler namens Pelagius, der drei aufeinanderfolgende Nächte lang Lichterspiele, Regen von Sternschnuppen und andere Himmelszeichen über einem Feld beobachtete. Dieser holte sich dann Rat bei seinem Bischof Theodomir in Iria Flavia (heutiges Padrón). Nach vielem suchen, dreitägigem fasten und einer Menge Gebeten, so berichtet erst die ‚Concordia de Antealtares‘ und später dann der ‚Codex Calixtinus‘, wurde das Grab des Heiligen Jakobus, zusammen mit denen seiner zwei Jünger, Theodorus und Athanasius, gefunden. Diese Gräber waren Teil eines grösseren römischen, beziehungsweise westgotischen, Friedhofes (Nekropole/Totenstadt). Dieser Ort wurde schnell als Campus Stelae bekannt, wovon sich der heutige Name Santiago (Sankt–Iago=Jakobus) de Compostela ableiten lässt. Compostela kann auf zwei Weisen interpretiert werden. Einmal als Campus Stellae (Sternenfeld) oder von compostum – Friedhof abgeleitet. Das himmlische Lichterspiel, das zur (Wieder-) Entdeckung des Jakobusgrabes führte, ist also die erste Verbindung zwischen dem Endpunkt des Jakobsweges (Camino de Santiago de Compostela) und den Sternen.
Karl der Grosse greift ein?
Der nächste Bezug zwischen dem Jakobsweg und den Sternen geht auf eine Legende aus dem Codex Calixtinus, einem mittelalterlichen Pilgerführer aus dem 12ten Jhr. zurück. Hier heisst es in der Goldenen Legende, einer Sammlung von Wundern und wunderbaren Taten, die dem Heiligen Jakobus zugeschrieben wurden, dass dieser dem Kaiser Karl dem Grossen in einer Traum-Vision erschienen sei und ihn aufgefordert habe nach Spanien aufzubrechen und sein Grab vor der Gefahr die von den Sarazenen ausginge zu beschützten. Das unten stehende Bild illustriert diese Legende. Jakobus steht links über den liegenden Kaiser gebeugt und rechts sieht man denselben Kaiser aus dem Fenster schauend und den Sternenweg betrachtend. Die Abbildung stammt vom Dachrelief des Karlsschreines in Aachen und wurde mir freundlicherweise von Pfr. Markus Frohn zur Verfügung gestellt, hier der >>>Link<<< zu seiner Webseite.
Auch hier mischen sich Legende und Geschichte. In Wirklichkeit hat es Karl der Grosse (Carolus Magnus) ja nur bis Pamplona geschafft. Karl der Grossen, lebte von 747/8 bis 814. Historiker datieren die (Wieder-)Entdeckung des Jakobusgrabes zwischen 818 und 834, also mehrere Jahre nach dem Tod Karls des Grossen! Deshalb muss die Legende, dass ihm Jakobus im Traum erschienen sei und ihn aufforderte den Jakobsweg und sein Grab zu sichern, auch als solche gesehen werden – eine fromme Legende. Karl der Grosse führte nur einen Kriegszug im heutigen Spanien durch, und zwar 778 (also lange vor der (Wieder-) Entdeckung des Jakobusgrabes!). 778 brach Karl der Grosse, einem Hilfegesuch des Emirs von Saragossa (Zaragoza) folgend, nach Spanien auf, um diesem zu helfen sich gegen den Emir von Córdoba zu verteidigen. Allerdings änderte der Emir von Saragossa (Zaragoza) schnell seine Meinung, als er die christlichen Truppen vor den Toren stehen hatte, da er befürchtete von einem christlichen Heerführer als Statthalter ersetzt zu werden. Da ihm Saragossa (Zaragoza) verschlossen blieb und er für eine Belagerung weder ausgerüstet war, noch genügend Proviant hatte, blieb Karl dem Grossen nichts anderes übrig als wieder nach Hause zurück zu kehren. Auf diesem Rückzug überfiel er dann Pamplona, plünderte es und liess ihre Stadtmauern schleifen – wohl um zu verhindern einen Feind im Rücken zu haben. Dieser Schuss ging aber nach hinten los, die in der Gegend ansässigen Basken schworen Rache und attackierten, in der Nähe von Roncesvalles, die Nachhut der Truppen und töteten, unter anderen, den Grafen Hruotland (Roland). Dieser Feldzug im Jahre 778 war das einzige Mal, dass Karl der Grosse spanischen Boden betrat.
Die oben beschriebene Traum-Vision geht auf den soggenannten Pseudo-Turpin zurück, welcher das vierte Buch des mittelalterlichen Pilgerführers Codex Calixtinus bildet. Er stammt aus dem 12ten Jhr., wurde also mehr als 300 Jahre nach dem Tod Karls des Grossen geschrieben. In ihm werden insgesamt vier Kriegszüge beschrieben, alle mit vielen Wundern verziert und keiner auf historischen Tatsachen beruhend. Interessant ist hier besonders der überlieferte Text der die angeblichen Worte des Heiligen Jakobus an Karl den Grossen wiedergibt:
„Du hast am Himmel die Sternenstraße gesehen und das bedeutet, dass du an der Spitze eines mächtigen Heeres nach Galicien ziehen wirst, und dass gleich dir alle Völker dorthin pilgern werden, bis zum Ende der Zeiten. Ich werde an deiner Seite stehen und als Belohnung für alle deine Mühen von Gott das Paradies für dich erwirken. Dein Name wird im Gedächtnis der Völker nicht ausgelöscht werden, so lange die Welt besteht.“
„Historia Karoli Magni et Rotholandi“
(Übersetzung aus dem lateinischen Pfr. M. Frohn)
Diese Legende stellt also den zweiten Bezug zwischen dem Jakobsweg und den Sternen dar. Nun kommen wir zur Theologie:
Nach mittelalterlichen Vorstellungen spielten die Himmelsrichtungen eine wichtige Rolle, Osten, wo die Sonne aufgeht, galt als Ort der Hoffnung für ein neues Leben, als Hinweis auf die Auferstehung Christi. Deshalb sind christliche Kirchen auch nach Osten hin ausgerichtet. Der Westen, wo die Sonne ‚starb‘, galt dagegen als Ort des Todes und der Vergangenheit. Die Sterne, und besonders die Milchstraße, spiegelten, in der mittelalterliche Glaubensvorstellung, den Weg der menschlichen Seele wieder. So wie die Sonne bei Tag den Weg weist, weisen ihn die Sterne bei Nacht. Allerdings darf daraus nicht geschlossen werden, dass die Milchstraße immer eine Ost-West-Ausrichtung hat. Auch werden nur sehr wenige Pilger des Mittelalters, wegen der damit verbundenen Gefahren wie Räubern und wilden Tieren, nachts gepilgert sein und werden deshalb die Sterne nur in Ausnahmefällen zur Wegfindung benutzt haben. Die Idee des Sternenweges ist eine metaphorische. Die Menschen des Mittelalters glaubten, dass das Paradies am Ende der Welt, nachdem das irdische Leben abgeschlossen wurde, zu finden sei. Und einer der Orte, der als Ende der Welt galt war eben auch Finisterre (Finis Terrae = Ende + Welt). Die Pilgerreise auf Erden wurde so mit der Pilgerreise der Seele gleichgesetzt, vom Westen (Tod, Vergangenheit, altes Leben) zum Osten (Auferstehung, Zukunft, neues Leben / Paradies). Allerdings muss man bedenken, dass diese relativ grobe Ausrichtung des Jakobsweges von Westen nach Osten NUR auf den Camino Francés zutrifft. Die Via de la Plata, der südspanische Pilgerweg der von Sevilla nach Santiago de Compostela führt, beginnt im Süden und führt nach Norden.
Und zum Schluss noch ein bisschen Astronomie:
Unsere Milchstraße (siehe Bild unten) ist eine Balkenspiralgalaxie und unser Sonnensystem befindet sich in einem ihrer Arme.
Ohne zu kompliziert zu werden, alle drei ‚Beteiligten‘, unsere Erde, unser Sonnensystem und unsere Milchstraße bewegen sich auf ihren eigenen, unterschiedlichen Bahnen. Deshalb sieht die Ausrichtung der Milchstraße, abhängig von Jahreszeit und Tages-/ Nachtzeit immer wieder anders aus. Das nächste Video verdeutlicht das sehr schön:
Als die Nacht voranschreitet, ‚bewegt‘ sich die Milchstraße über den Nachthimmel, gut zu sehen, da das Gebäude als unbeweglicher Referenzpunkt dient. Wer es trotzdem nicht glaubt kann es ja selbst versuchen und mit etwas Geduld und Zeit die Bewegung der Milchstraße über den Nachthimmel an seinem eigenen Wohnort verfolgen.
Auch in die moderne Kultur hat der Zusammenhang Milchstraße/Sternenweg/Jakobsweg Einzug gefunden. So filmte zum Beispiel der spanische Filmemacher und Regisseur Luis Buñuel seinen Film „Die Milchstraße“, der die Reise zweier Landstreicher auf dem Jakobsweg beschreibt und sich mit den verschiedenen christlichen Glaubenslehren und Dogmen beschäftigt, im Jahre 1969. Die Milchstraße galt ihm hier als himmlisches Äquivalent zum irdischen Pilgerweg.
Zusammenfassung:
Und hier noch zum Schluss ein weiteres Video, diesmal eines, das in Australien gedreht wurde, und die Bewegung der Milchstraße über den Nachthimmel noch beeindruckender zeigt:
Jantzen, Angela
16. Juni 2015 bei 18:12
War 2014 auf dem Camino Frances und schreibe jetzt noch das Tagebuch.
Gute Beschreibung für den Sternenweg….
SYates
19. März 2016 bei 17:58
Zuerst einmal: Entschuldigung für die späte Antwort! Ich bin gepilgert (Ökumenischer Pilgerweg in Deutschland), ich pilgere (Via de la Plata) and ich habe deshalb diese Webseite nicht so oft gecheckt, wie ich es hätte machen sollen. Entschuldigung!
Viel Spass beim schreiben, vielleicht wird ja noch ein Buch daraus?, und Buen Camino, SY
Doris Milster
15. März 2015 bei 13:06
Eine sehr gute Erklärung. Bin den Weg frances gelaufen. Einfach nur schwer und wunderschön.
SYates
21. März 2015 bei 13:11
Danke für die freundlichen Worte. Ja, der Weg kann schon schwer sein, lohnt sich aber immer!
Buen Camino! SY