Oberflächlich betrachtet ist das Heilige Compostelanische Jahr vielleicht nicht schwer zu verstehen, aber es steckt mehr dahinter als man auf den ersten Blick meinen könnte. Hier alles was es zum Thema Heiliges Jahr zu wissen gibt. Der Einfachheit halber, und weil es das Hauptthema dieser Webseite ist, beziehe ich mich hier hauptsächlich auf das Heilige Compostelanische Jahr, wie es auf dem Jakobsweg gefeiert wird und nicht auf die anderen ‚Jubeljahre‘ die von den christlichen Kirchen, und auch von anderen Religionen, gefeiert werden.
Hier erstmal ein paar spanische Wörter, Namen und Begriffe die Sie kennen sollten und ihre Übersetzungen ins deutsche:
Heiliges Jahr – Biblischer Hintergrund
Die Grundlage jeden Heiligen Jahres ist das Jubeljahr wie es im Alten Testament beschrieben ist:
„Und ihr sollt das fünfzigste Jahr heiligen und sollt im Land eine Freilassung ausrufen für alle, die darin wohnen. Es ist das Jubeljahr, in dem jeder bei euch wieder zu seinem Eigentum kommen und zu seiner Familie zurückkehren soll.“ (3 Moses / Leviticus 25:10)
Alle sieben Jahre feierten die Juden ein Sabbatjahr und nach 7 Jubeljahren, gleich 49 Kalenderjahren, gab es ein Jubeljahr. Ein Sabbatjahr war ein Ruhejahr für die Erde, die Felder lagen brach und wurden nicht bebaut. Das Jubeljahr, das nur alle 50 Jahre gefeiert wurde, ging da noch weiter, es betraf auch die Rückgabe allen Grundeigentums zu ihren ursprünglichen Besitzern wenn diese es verkauft oder verpfändet hatten, ausgenommen waren davon nur Gott geweihte Äcker und Häuser innerhalb der Stadtgrenzen. Ausserdem wurden in einem Jubeljahr auch alle Sklaven und Leibeigenen freigelassen.
Das erste Heilige Jahr des Christentums wurde im 13ten Jahrhundert von Papst Bonifatius VIII verkündet, aber für Rom, nicht für Santiago! Es findet seit dem 15ten Jahrhundert nun alle 25 Jahre statt, das letzte war 2000 und das nächste wird dann, logischerweise, 2025 sein. Anders als beim jüdischen Jubeljahr geht es beim römisch-katholischen Jubeljahr gar nicht um die Wiederherstellung einer wirtschaftlichen Gleichheit und die Befreiung von wirtschaftlichen Schulden, hier geht es nur um ’spirituelle‘ Schulden, die soggenannten Sündenstrafen. Diese werden nämlich den katholischen Gläubigen während eines Heiligen Jahres vollständig vergeben, wenn sie darum bitten und bestimmte Voraussetzungen erfüllen (siehe weiter unten).
Heiliges Jahr – Datum
Ein Heiliges Jahr, auf spanisch Año Santo Compostelano oder Año Santo Jacobeo genannt, wird immer dann in Santiago de Compostela gefeiert, wenn der Festtag des Heiligen Jakobus, der 25te Juli, auf einen Sonntag fällt. Das bedeutet, das wegen der Schaltjahre, der Abstand der Heiligen Jahre voneinander immer diesem Muster 6-5-6-11 folgt.
Ein Heiliges Jahr beginnt offiziel am Abend des 31ten Dezembers des vorherigen Jahres mit der Öffnung der Heiligen Pforte der Kathedrale in Santiago de Compostela durch den Erzbischof von Santiago und endet mit der Schliessung derselben am 31sten Dezember das Heiligen Jahres. Zum Beispiel, für das Heilige Jahr 2010 wurde die Pforte am Abend des 31sten Dezembers 2009 geöffnet und am 31sten Dezember 2010 wieder geschlossen.
Wann war das erste Heilige Compostelanische Jahr?
Da scheinen sich die Gelehrten ein bisschen zu streiten 😉 Moderne Jakobswegforscher wie Prof. Paolo Caucci von Saucken, der als grösster lebender Experte der Geschichte der Jakobswege und der Pilgerschaft gilt, sehen 1434 als erstes, historisch belegbares Heiliges Jahr in Santiago an. Die Kathedrale in Santiago sagt dagegen das das erste Heilige Compostelanische Jahr schon 1182 gefeiert wurde. Die Wahrheit könnte irgendwo in der Mitte liegen 😉 So ist es vorstellbar, und belegbar, das der Besuch der Kathedrale schon früh mit Privilegien belohnt wurde, eine Liste von Teilablässen die im 13ten Jahrhundert dort ‚erhältlich‘ waren ist überliefert, aber es gibt keinen sicheren Beleg für die Existenz eines Plenarablasses vor dem 15ten Jahrhundert. Und nur ein solcher Plenarablass würde ein Heiliges Jahr beweisen, die beiden gehören zusammen 😉
Die päpstliche Bulle ‚Regis aeterni‘ (‚Ewiger Koenig‘) wird von vielen Historikern, aus verschiedenen Gründen, für eine mittelalterliche Fälschung gehalten. Diese Bulle wird als Gründungsdokuments des Heiligen Compostelanischen Jahres gesehen. Angeblich wurde sie von Papst Alexander III 1179 verkündet. Das Problem ist hier, das die einzigen erhaltenen Kopien aus dem 15ten Jahrhundert stammen. Ausserdem enthält die Bulle auch Hinweise zu Ereignissen die 1179 noch nicht stattgefunden hatten, wie zum Beispiel ein Verweis auf das römische Jubeljahr, das zum ersten mal 1300 stattfand, 121 Jahre nachdem die Bulle angeblich geschrieben wurde 😉
Ausserordentliche Heilige Jahre
In den Jahren 1885, 1938 und 2000 wurden ausserordentliche Heilige Jahre gefeiert, ausserordentlich deshalb weil in diesen Jahren der 25te Juli nicht auf einen Sonntag fiel. Der Grund für das Heilige Jahr 1885 war die Feier der Echtheitserklärung der Jakobusreliquien durch Papst Leo XIII. Diese waren im Jahre 1589 von Erzbischof Don Juan de San Clemente so gut vor dem englischen Freibeuter Sir Francis Drake versteckt worden, das sie erst im Jahre 1879 wiedergefunden wurden! Da war die Freude natürlich gross und deshalb gab’s dann auch ein Heiliges Jahr extra 😉
Die Echtheit der Reliquien wurde übrigens so bewiesen: Einige Jahrhunderte zuvor hatte die Kathedrale von Santiago der Kathedrale von Pistoia (Italien) einen Kieferknochen des Heiligen Jakobus gesandt und nun wurden der wieder-gefundene Schädel mit diesem Kieferknochen verglichen – und sie passten zusammen. Das beweist natürlich nicht, das die Knochen, die als Reliquie des Heiligen Jakobus in Santiago verehrt werden, wirklich diesem Jünger Jesu gehörten, nur das die wiedergefundenen Knochen zur selben Person gehörten deren Knochen 1587 vor den Engländern versteckt wurden …
Im Jahre 1938 blieb die Heilige Pforte der Vergebung weiterhin geöffnet (1937 war ein Heiliges Jahr), um den Teilnehmern am Spanischen Bürgerkrieg das kommen und den Ablass zu ermöglichen.
Und im Jahre 2000 gab es ein ein weltweites Jubeljahr der römisch-katholischen Kirche in das Santiago eingeschlossen war, aber die Heilige Pforte wurde am 31sten Dezember geschlossen 1999.
Weitere außerordentliche Heilige Jahre sind, im Moment, nicht geplant, aber ich habe gehört, das sich die galicische Tourismusindustrie darüber beschwert hat das der Abstand zum nächsten, in 2021, viel zu lang ist …
Liste der Heiligen Jahre im 20sten und 21sten Jahrhundert, die Sequenz 6-5-6-11 ist hier schön zu erkennen:
1909 |
2004 2010 2021 2027 2038 2049 2060 2066 2077 2083 2088 2094 |
Heiliges Jahr und seine Bedeutung für die römisch-katholische Kirche und ihre Gläubigen
Ein Heiliges Jahr ist für die römisch-katholischen Christen, und den Katholiken die sich in voller Union mit Rom befinden, besonders wichtig, da es ihnen die Möglichkeit gibt einen vollständigen Sündenablass zu erhalten. Es ist wichtig zu verstehen, das es dafür keine Rolle spielt wie man nach Santiago kommt, sondern nur dass man kommt. Ja, auch Buspilger können so den Ablass erhalten! Allerdings gibt’s dann keine >>>Compostela<<< 😉 Die hat nämlich nichts mit dem Heiligen Jahr zu tun!
Um diesen Ablass zu erhalten, entweder für sich selbst oder einen Verstorbenen, müssen die folgenden Bedingungen erfüllt werden und natürlich ist er nur für getaufte römisch-katholische, und katholische Christen die einer Kirche angehören die in voller Union mit Rom ist, erhältlich:
In den vergangenen Heiligen Jahren hat die Kathedrale immer Informationsbroschüren in mehreren Sprachen, auch deutsch, herausgegeben und das wird auch sicher im nächsten wieder der Fall sein!
Und wenn es zur Beichte kommt sind nicht nur in Heiligen Jahren mehrsprachige Beichtväter vorhanden, die Kathedrale hat sich sehr auf die Internationalität des Pilgerweges eingestellt und Sie werden, fast immer, jemanden finden der Ihre Beichte versteht …
Öffnung und Schliessung der Heiligen Pforte (Puerta Santa)
Am Abend des 31sten Dezember vor dem Heiligen Jahr klopft der Erzbischof von Santiago de Compostela von aussen (Plaza de La Quintana) an die Mauer die die Heilige Pforte verdeckt. Diese wird dann eingerissen und der Zugang zur Kathedrale ist offen. Die neue Bronzetür die 2004 eingesetzt wurde übrigens vorher von innen geöffnet 😉 Diese Bronzetür ist wirklich eine neuzeitliche Erfindung und der Heiligen Pforte in Rom nachempfunden, bis zum Jahre 2003 gab es nur eine einfache Maurer die die Pforte verschloss…
Wie auch immer, nachdem dieser spezielle Zugang zur Kathedrale nun offen ist, geht zuerst der Erzbischof mit erhobenen Bischofsstab hindurch und dann alle anderen die sich in der Prozession befinden. Und dann gibt es natürlich eine feierliche Eröffnungsmesse!
Ach ja, der Hammer den Erzbischof benutzt wird dann einem Ehrengast geschenkt und die Brocken der heruntergerissenen Mauer sind begehrte Souvenirs für die Anwesenden. Irgendwo in meiner Jakobswegsammlung habe ich auch ein paar solche Bröckchen die mir ein Freund 2004 geschenkt hat, wenn ich sie finde mache ich ein Foto und stelle es hier ein 😉
Die Schliessung der Heilgen Pforte läuft dann ähnlich ab. Der Erzbischof, der als letzter durch die Tür gegangen ist, verschliesst sie dann, in einem kurzen, liturgischen Akt von innen, siehe Video weiter unten und während die Heilige Messe gefeiert wird wird die Heilige Pforte wieder zugemauert.
In beiden Fällen feiert Santiago de Compostela, Bewohner und Pilger zusammen,am Abend mit einem großen Feuerwerk und Gesang und Tanz in den Straßen und Gassen – Nicht verpassen!
Video der Öffnung der Heiligen Pforte am 31sten Dezember 2009
Video der Schliessung der Heiligen Pforte am 31sten Dezember 2010.
Normalerweise betreten die Pilger die Kathedrale durch den Pórtico da Gloria aber während eines Heiligen Jahres wird dieser separat durchschritten. Der Pilgerstrom wird von der Puerta del Perdon direkt zum Grab des Apostels geleitet, dann zur Statue des Apostels über dem Hauptaltar und dann hinaus durch die gegenüberliegende Tür. Der verwirrte Pilger muss dann um die Kathedrale herumgehen um den Pórtico da Gloria zu erreichen 😉
Andere Gnadenpforten
Villafrance del Bierzo, ungefähr 180km vor Santiago hat eine eigene Gnadenpforte (Puerta del Perdon) wo Pilger die zu krank oder verletzt sind um weiterzulaufen theoretisch den selben Ablass wie in der Kathedrale selbst bekommen können. Ich sage ‚theoretisch‘ da es heute kaum noch vorkommen dürfte das diese Gnadenpforte so benutzt wird. Die Idee ist nämlich denjenigen die vollen Gnaden zu gewähren die den Aufstieg nach O Cebreiro und die galicischen Berge nicht überleben würden! Blasen reichen also nicht aus 😉
Heiliges Jahr Pilgerzahlen
Hier die Zahlen der Pilger, wie sie von der Kathedrale in Santiago veröffentlicht wurden, der letzten Heiligen Jahre und, zum Vergleich, die der ’normalen‘ Jahre. Die erste Zahl ist die der Pilger die die >>>Compostela<<< erhalten haben, die zweite, höhere, wenn vorhanden, die Anzahl aller Besucher zur Kathedrale, Buspilger eingeschlossen 😉
1986 – 2,491
1987 – 2,905
1988 – 3,501
1989 – 5,760 (Besuch von Papst Johannes Paul II)
1990 – 4,918
1991 – 7,274
1992 – 9,764
1993 – 99,439 / 7 Millionen (Heiliges Jahr)
1994 – 15,863
1995 – 19,821
1996 – 23,218
1997 – 25,179
1998 – 30,126
1999 – 154,613 / 10,8 Millionen (Heiliges Jahr)
2000 – 55,004 (Weltweites Jubeljahr)
2001 – 61,418
2002 – 68,952
2003 – 74,614
2004 – 179,944 / 12 Millionen (Heiliges Jahr)
2005 – 93,924
2006 – 100,377
2007 – 114,026
2008 – 125,141
2009 – 145,877
2010 – 272,135 / über 9 Millionen (Heiliges Jahr)
2011 – 183,366
Heiliges Jahr für Nicht-Römer
Evangelische Christen glauben nicht ans Fegefeuer und auch nicht das, trotz Sündenvergebung noch Sündenstrafen abgeleistet / bezahlt werden müssen. So haben sich meine spanischen Freunde immer gewundert, das ich ausgerechnet in einem Heiligem Jahr zum ersten Mal gepilgert bin! Aber ich hatte mir das ja nicht ‚ausgesucht‘ es hat sich einfach so ergeben…
Die Bedeutung des Heiligen Jahres liegt für mich persönlich in der Tradition und Geschichte die alle Pilger über die Jahrhunderte verbindet. Durch die Puerta Santa (Heilige Pforte) zu gehen, zum Grab des Apostels hinunterzusteigen und wieder herauf um, wie es die Tradition verlangt, seine Statur über dem Altar zu umarmen und dann die Kirche durch eine andere Tür zu verlassen wie es schon Millionen andere Pilger getan haben setzt meinen eigenen Glauben zu ihnen in Bezug und zeigt mir das ich nicht alleine bin, auch wenn ich nicht an die Notwendigkeit eines Sündenablasses glaube. Aber das gilt ja auch für ’nicht-heilige‘ Jahre …